Mit dem 400 Jahre alten Bader durch die Gassen – eine nächtliche Führung voller Geschichte und Geheimnisse in Dinkelsbühl. Wenn es Nacht wird in Dinkelsbühl, die warmen Lichter der Stadtbeleuchtung die Stadt erhellen, dann erwacht die Stadt von neuem. Zwischen alten Mauern, stillen Fachwerkhäusern und dem leisen Plätschern der Wörnitz wandelt ein Mann mit Laterne durch die Dunkelheit – der Bader. In einem historischen Gewand mit Umhang, eine Laterne in der Hand, führt uns der Bader durch seine Stadt mit vielen alten Geschichten aus dem Mittelalter. Mit Geschichten voller Aberglauben, Krankheit und Heilkunst.
Doch dieser Bader ist kein klassischer Stadtführer im gewöhnlichen Sinne. Er stammt – so sagt er selbst – aus einer Zeit vor über 400 Jahren. Und so begann am 31. Oktober 2025 seine erste nächtliche Führung durch Dinkelsbühl. Nicht etwa wegen Halloween, wie manch einer vermutet hätte – „so ein neuzeitlicher Käse“, wie er schmunzelnd bemerkt –, sondern auf Einladung der Stadt und ihrer Räte.
Ein Bader war mehr als nur ein Heiler, Barbier und Mensch, der sich die Geschichten von seinen Kunden anhörte.
Im Mittelalter wurde in seiner Badestube nicht nur gewaschen und gesalbt – hier wurden Zähne gezogen, Schröpfköpfe angesetzt und der Aderlass durchgeführt, um das „böse Blut“ zu vertreiben.
Ganz ruhig erzählte uns der Bader von den Problemen seiner damaligen Patienten. Sie hatten hohes Fieber, sie hatten Geschwüre im Gesicht und oft war die Pest im Spiel. Seine Taschen sind gefüllt mit merkwürdigen Dingen – getrocknete Kräuter, Knochen, Amulette und kleine Tierteile, die einst als Schutz vor Krankheit und Unheil galten.
„Heilung“, so sagt er, „hat viel mit dem Glauben der Menschen zu tun – aber auch mit seinem Geschick.“
Schutz vor dem Bösen
„Es ist gut, sich zu schützen“, sagt der Bader und blickt in die Runde.
Einem Gast hängt er eine Knoblauchkette um – der scharfe Geruch soll das Dunkle und böse Geister vertreiben. Dem nächsten drückt er eine Bibel, dem dritten ein Kruzifix in die Hand. „Das Böse fürchtet das Wort und das Kreuz“, erklärt er ernst. „Doch Vorsicht: Nicht jedes Unheil trägt Hörner – manches hat ein freundliches Gesicht.“
Dann zieht er etwas aus seiner Tasche – eine abgehackte linke Hand, die „Hand des Ruhenden“. Sie diente einst am Haus als über der Tür hängend als schutz, um Diebe fernzuhalten. Daneben ein abgetrennter Finger, Symbol für Verrat aber auch Diebstahl. Und schließlich ein getrockneter Marderpenis, den der Bader augenzwinkernd „meinen Glücksbringer gegen Unfruchtbarkeit“ nennt.
Zwischen Aberglauben und Heilkunde verschwimmen hier die Grenzen – und genau das macht seinen Vortrag so lebendig.
Vom Spital bis zum Segringer Tor
Der Rundgang begann auf dem Altrathausplatz und führte weiter über das Kirchhöflein zum alten Spital. Hier im Spital, so erzählt der Bader, wurde einst Recht gesprochen. An einer Hauswand ist noch heute eine alte Zeichnung zu sehen – ein Zeugnis der städtischen Gerichtsbarkeit. Eine Bild mit Beil und abgehackter Hand. Über den Gaulweiher wusste er natürlich auch eine Geschichte über den Killerwaller oder Killerkarpfen zu erzählen, der so manchen bösen Pferdeburschen beim Waschen der Pferde einfach verschluckt hatte. Aktuell wie nie, denn in diesem Jahr waren im Fränkischen Seenland mehrere riesige Waller bzw. Welse unterwegs, welche die badenden Kunden sehr verängstigten.
Dann geht es weiter zum Segringer Tor. Doch zuvor hielt er in der Gasse des großen Zeughauses inne. Heute ist es die Jugendherberge in Dinkelsbühl und kleine Kinder waren noch bei Dunkelheit unterwegs. Das sei vor 400 Jahren undenkbar gewesen. Dann schritten wir zum Segringer Tor. Der Bader bleibt stehen, leuchtet uns mit seiner Laterne in die Gesichter und warnt:
„Verlasst nie die Mauern der Stadt bei Nacht. Drinnen mag es Geister geben – doch draußen lauern noch schlimmere.“
Am Frauenhaus, das es im Mittelalter tatsächlich gab, wird es kurz still. Dann erzählt der Bader mit einem spitzbübischen Grinsen, dass selbst ein Pfarrer aus Feuchtwangen einst dort gesehen worden sei. Das Gelächter der Gruppe hallt durch die Gasse.
Am Ende treffen wir noch den Nachtwächter von Dinkelsbühl, ebenfalls mit einer Gruppe unterwegs. „Er gehört zum niedrigsten Stand der Bürger“, sagt der Bader mit stolzem Unterton. „Ich hingegen war im Rang weit höher – schließlich vertrauten mir die Menschen ihr Blut, ihre Wunden und ihre Geheimnisse an.“
Ein Stück Ellwanger Geschichte in Dinkelsbühl
Als der Bader von der Hexe Margaretha Buckel erzählt, fragt er, wo es wohl noch mehr Hexen als in Dinkelsbühl gegeben habe.
Ich, als Wörter Touristiker mit historischem Hintergrund, wusste die Antwort sofort: In Ellwangen!
„Ah, kommst du aus Ellwangen?“, fragt der Bader.
„Nein“, antworte ich, „aus Wört – zwischen Ellwangen und Dinkelsbühl.“
Und ja – auch Wört hat seine eigenen Gruselgeschichten. Etwa die vom Schellenbogenschnitzler, einem Geist, der im Dinkelsbühler Spitalwald „Brand“ saß und Schellenbögen für die Leithämmel schnitzte. Die alten Chroniken berichten, er habe Holzfrevler und Räuber in die Irre geführt und ihre Tiere durch den Wald getrieben. Quelle: Beschreibung des Oberamts Ellwangen, Stuttgart 1886
Ein Abend voller Geschichte – und Humor
Zwei Stunden lang führte uns der Bader durch seine Gassen von Dinkelsbühl – von 20 bis 22 Uhr. Die Kälte kroch in die Finger, doch seine Geschichten wärmten Herz und Fantasie.
Es war keine Show, sondern eine lebendige Zeitreise. Zwischen Grusel und Gelächter gelang es ihm immer wieder, seine Zuhörer zu fesseln – mit Ernsthaftigkeit, Witz und einem tiefen Gespür für Geschichte.
Am Ende bleibt das Licht seiner Laterne zurück – und das Gefühl, dass in Dinkelsbühl selbst die Schatten Geschichten erzählen.
Unser Fazit: Ein herrlich-schauerlicher, lehrreicher und zugleich heiterer Abend. Ohne Fernsehen, ohne Werbung – einfach pures Mittelalter mitten in der Altstadt. Diese neue Führung ist eine echte Bereicherung und sollte fester Bestandteil des Dinkelsbühler Kulturprogramms werden.
Danke an die Stadt Dinkelsbühl und ihre Räte – für diesen besonderen Abend voller Geschichte, Geheimnisse und Menschlichkeit.
